Mein Feind der Perfektionismus

Dunkelheit

Interessant wie einem das Selbstbild einen Streich spielen kann… Lange Zeit war ich der Meinung, alles andere als perfektionistisch zu sein, bis ich auf der Suche nach der Ursache für meine innere Unruhe vom Gegenteil überzeugt wurde. Der Perfektionismus, den ich mein Leben lang ignoriert hatte, war die Ursache für meinen starken Ehrgeiz und mein Durchhaltevermögen, aber auch für meine Stressanfälligkeit, die sich wiederum negativ auf meinen Darm auswirkt.

Perfektionismus = Stress = Bauchkrämpfe

Dass unser Immunsystem und auch unser Darm empfindlich auf Stress reagiert, konnte bereits in verschiedenen psychologischen Studien nachgewiesen werden. Dabei wurde auch festgestellt, dass die körperliche Gesundheit nur dann darunter leidet, wenn wir den Stress als belastend empfinden. Soweit so gut. Dass allerdings mein Perfektionismus-Streben die Ursache für stressbedingte Bauchkrämpfe sein könnte, das war eine ganz neue Erkenntnis.

„Misserfolgsorientierte Perfektionisten weisen (teilweise) deshalb eine höhere emotionale Erschöpfung und Leistungsunzufriedenheit auf, weil sie Stresssituationen als Bedrohung erleben und infolge dessen ein ungünstiges Copingverhalten zeigen“ [1]

In unserer Leistungsgesellschaft ist der Drang perfekte Leistungen zu erbringen oft sehr groß. Wir haben Angst, nicht dieselben Erfolgsnachweise bringen zu können wie andere, und aufgrund der wachsenden Anforderungen im Arbeitsmarkt lässt uns das zu Höchstform auflaufen. Die Angst zu Versagen ist also ständig präsent.

Sobald der Drang nach Perfektionismus nicht ausschließlich aus einer inneren Motivation kommt, sondern von Außen verstärkt wird, steigt die Angst vor Fehlern und somit auch das Stress Level. Und wenn dieses Stress Level ein kritisches Niveau erreicht hat, meldet unser Darm Ausnahmezustand und zieht die Notbremse. Die Folge: Bauchkrämpfe und Durchfälle und nichts geht mehr. Gewissermaßen also eine erzwungene Ruhepause unseres Körpers.

Meine persönliche Erfahrung

Nachdem ich diesen Mechanismus durchschaut hatte, war es mir möglich ein erstes Mal selbst die Notbremse zu ziehen. Denn das Leben mit Stoma hat mir zwar eine Vielfalt von ungeahnten Freiheiten gebracht, die ständigen Bauchkrämpfe sind mir jedoch leider geblieben.

Grundsätzlich hatte ich diese jedoch mit regelmäßigem Sport, Entspannungstechniken und Ernährungsumstellung so weit eingedämmt, dass ich sehr gut damit leben und meinen Rhythmus danach ausrichten kann. Doch…

Das Leben am Limit rächt sich

Die Abschlussprüfungen haben mir leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mein perfektionistischer Ehrgeiz hat mich dazu verleitet, an meine körperlichen Grenzen zu gehen und den gesundheitlichen Ausgleich ganz weit nach hinten zu schieben. Wenn man die ganze geistige Energie in seine Ziele steckt, ist die Motivation nicht sehr gering, den Körper in den freien Minuten mehr als nötig zu bewegen.

Joggen war somit gestrichen und Volleyball auf das Nötigste reduziert. Statt frischem Gemüse gab es immer häufiger Ungesundes, das schnell zubereitet war. Die wenige Zeit in den Pausen mit Kochen und Einkaufen zu „verschwenden“ war keine Option.

Gleichzeitig stieg der Stresslevel, denn das wochenlange Multitasting auf höchstem Niveau forderte seinen Preis. Die Bauchkrämpfe wurden immer schlimmer, trotz Stoma vertrug ich auf einmal immer weniger Lebensmittel. Auch der Schlaf wurde durch die Krämpfe, den Leistungsdruck und die Nervosität immer schlechter und die Augenränder immer größer. Für alle Projekte und Klausuren erhielt ich die Bestnote.

Ich musste doch nur noch ein wenig durchhalten…

Es war nur noch eine Woche zu meinen Abschlussprüfungen und ich wollte doch unbedingt mit Auszeichnung bestehen. Ich wollte die vielen gesundheitlichen Unterbrechungen vor mir selbst und meinem zukünftigen Arbeitgeber rechtfertigen, ich wollte es so sehr. Ich hatte schon so viel erreicht und es ging nur noch um einige wenige Tage, die ich durchhalten musste, dann konnte ich mich schließlich den ganzen Sommer erholen.

Letztendlich war es wohl der Moment, in dem ich meine Geschichte erneut durchgelesen habe, der mich wachgerüttelt hat. Ich war so dumm, alles was ich gesundheitlich so mühsam erreicht hatte, so leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Also viel es mir wie Staub von den Augen…

… die innere Balance zu finden

Von einen Tag auf den Nächsten gönnte ich meinem Körper die Ruhe, die er brauchte, sorgte wieder für gemäßigten Ausgleich ohne Höchstleistungen und feierte einen ausgelassenen Abend mit meinen Freunden. Auch den nächsten Tag verbrachte ich überwiegend in der Sonne, besuchte liebe Menschen und das Lernen fiel mir auf einmal wieder ganz leicht.

Ich hatte nur noch 3 Tage bis zur Abschlussprüfung, meine Bauchkrämpfe hatten sich wieder gebessert und ich fand sehr schnell zu meiner inneren Balance zurück. Vor der Prüfung schlief ich ordentlich aus, tanzte ausgelassen durch die Wohnung, sang im Auto lauthals zu meiner Lieblingsmusik und erschien gut gelaunt und ausgeglichen vor dem Prüfungsausschuss. Die Abschlussprüfung bestand ich gestern mit Auszeichnung.

 

[1] Wimmer, Elisabeth (2011): Multidimensionaler Perfektionismus und Burnout im Rahmen des Kognitiv-transaktionalen Stressmodells: Strukturausgleichsmodelle.

[2] Bucher, Anton (2009). Psychologie des Glücks. Weinheim, Basel: 2009.

[3] Aronson, Wilson, Akert (2004). Sozialpsychologie. München: Pearson Studium.

[4] Morschitzsky, Hans (2015): Die Angst zu versagen und wie man sie besiegt. In zehn Schritten zum Erfolg.

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