Nach der Diagnose Morbus Crohn schlitterte ich immer weiter Richtung Abgrund. Das Stoma rettete mich schließlich aus dem Tiefpunkt meines Lebens und zog mich in ein neues Lebensgefühl. Doch aller Anfang ist schwer und obwohl ich bereits 5 Tage nach der Stoma-OP entlassen wurde, hatte ich mit einigen Problemen zu kämpfen…
Wie sich die Medikamente auf meine Haut auswirkten
Meine Haut war durch die lange medikamentöse Therapie sehr sensibel geworden und reagierte schnell mit allergischen Reaktion. Insbesondere die Haut rund um das Stoma war sehr empfindlich und mit keinem Material so wirklich zufrieden. Auch mein Gesicht war ständig gerötet und ausgetrocknet, wobei zumindest das „Mondgesicht“ langsam zurückging.
So wie die vielen Medikationen nie zu einer deutlichen Besserung führten, brachte auch keine der zahlreichen Stomaversorgungen die erhoffte Ruhe in mein Leben. Ständiger Juckreiz, Haftungsprobleme und Entzündungen waren an der Tagesordnung. Ich kombinierte verschiedene Stoma Platten mit Pasten und Ringen, aber leider haftete keine Kombination ausreichend, was mir psychisch sehr zusetzte.
Ich will meine Freude in die ganze Welt schreien
Ich hatte mich unglaublich darauf gefreut, nach der Stomaanlage endlich alles tun zu können, was die letzten Jahre nicht mehr möglich gewesen war. Also besuchte ich wenige Wochen nach der OP voller Euphorie eine meiner besten Freundinnen, die einige Hundert Kilometer entfernt wohnte.
Verglichen mit der Distanz, die ich die letzten Jahre zurückgelegt hatte, glich der Besuch einer Weltreise. Noch etwas verunsichert und unroutiniert im Wechseln der Versorgung machte ich mich also auf den Weg und war sehr stolz, dass ich nach so kurzer Zeit bereits den Mut hatte, so weit wegzufahren.
Wie es das Schicksal will, musste ich bereits in der ersten Nacht feststellen, dass die Stomaplatte undicht geworden war… Glücklicherweise erklärte sich eine Stomaschwester dazu bereit, mir gleich am nächsten Tag einen Hausbesuch abzustatten und probierte ein anderes System an mir aus, das zu funktionieren schien.
„Un verre de vin, s’il vous plaît!“
Gestärkt durch neuen Optimismus reisten wir daraufhin zusammen mit einem guten alten Freund, den ich lange nicht mehr gesehen hatte, zu einen Tagesausflug an die französische Grenze. Mein erster Urlaub in Frankreich und ich war überglücklich.
Meinen letzten Urlaub hatte ich sehr negativ in Erinnerung behalten. Ich war auf 48 Kilo abgemagert, mein Gesicht war vom Cortison aufgequollen und ich weigerte mich das Hotel weiter als bis zum angrenzenden Strand zu verlassen. Daher war dieser Tagestrip auch so etwas besonderes für mich. Ich konnte und wollte wieder unter Menschen gehen und meine Freude darüber in die ganze Welt schreien.
Im Restaurant bestellte ich meinen Flammkuchen und das Glas Weißwein in perfektem französisch, meine strenge Gymnasiallehrerin wäre stolz auf mich gewesen. Die Sonne schien mir ins Gesicht und ich war erleichtert endlich wieder all die Dinge tun zu können, auf die ich so lange verzichtet hatte. Sogar ein Glas französischer Wein war mit Stoma kein Problem mehr.
Wenn die neue Euphorie zerbricht
Beim Weg auf die Toilette spürte ich jedoch bereits, dass etwas nicht stimmte. Die Feuchtigkeit unter meinem T-Shirt bedeutet nichts Gutes. Ich dankte dem Restaurant innerlich für die komfortabel ausgestattete Toilette, denn ich würde sie an diesem Nachmittag im 30 Minuten Takt aufsuchen.
Die Versorgung hielt leider nicht was sie versprach und mehr als 5 Ersatzsysteme hatte ich nicht mitgenommen. Nach dem dritten verzweifelten Wechseln der Stoma Versorgung teilte ich meinen Freunden nach nur 2 Stunden in Frankreich mit, dass wir leider sofort zurück fahren müssten. Also fuhren wir so schnell es ging zurück nach Deutschland und bei einem Zwischenstop musste ich meine letzte Notreserve einsetzen.
Mit der allerletzten Versorgung am Körper erreichte ich schließlich gerade noch rechtzeitig die Wohnung meiner Freundin. Die Stomatherapeutin musste erneut vorbeikommen und zum Glück hielt dieses System nun etwas besser.
„Erfahrung ist nicht das was einem zustößt. Erfahrung ist das was man aus dem macht, was einem zustößt“ – Aldous Huxley
Zum Glück habe ich mittlerweile keine Haftungsprobleme mehr, aber gelernt habe ich aus der Erfahrung, dass die Stomaversorgung immer oberste Priorität hat. Je nachdem wo ich hingehe, nehme ich immer ausreichend viele Platten und Beutel mit.
Warum ich das heute nicht anders machen würde
Ich erinnere mich nur noch selten an die Nächte in den ersten Monaten zurück, als ich nachts verzweifelt im Krankenhaus anrief, weil ich nicht mehr weiter wusste. Erlebnisse wie der Besuch bei meiner Freundin waren leider keine Seltenheit, der Kurzurlaub steht exemplarisch für eine Vielzahl an Problemen, die die Stomaanlage zu Beginn mit sich brachte.
Letztendlich hätte mein Leben wohl nach der Stoma OP etwas ruhiger verlaufen können. Aber nach der jahrelangen „Ruhe“ und Einsamkeit zwischen Bett und Sofa sehnte ich mich so sehr nach dem richtigen Leben. Daher war ich möglicherweise auch etwas unvorsichtig mit der Stomaversorgung, meine Prioritäten lagen woanders.
Ich wollte meine alten Freunde wiedersehen, ich wollte Neues entdecken, ich wollte die Energie des Lebens in mich aufsaugen und daran wachsen. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich mich langsam an das Leben mit Stoma gewöhnen sollte, hätte ich das wahrscheinlich getrost ignoriert. Zu lange war ich in meinem eigenen Körper gefangen gewesen.
Das Leben mit Stoma 2 Jahre nach der OP
Glücklicherweise habe ich Haftungsprobleme mittlerweile wenn überhaupt nur dann, wenn ich die Basisplatten einmal länger als 6 Tage am Stück trage. Die einen finden wahrscheinlich sehr bald und die anderen etwas später die für sie richtige Versorgung. Bei mir hat es zwar ein paar Monate gedauert, aber jetzt ist das Leben mit Stoma fast genauso wie vor der Diagnose Morbus Crohn.
Mit etwas positivem Denken erinnern die Beutel an ein schickes, silbernes Accessoire, vor allem wenn man eine schöne Spitzenbandage darüber trägt. Ich besitze mittlerweile eine kleine liebevolle Sammlung an verschiedenen Bandagen aus unterschiedlichen Materialien. Auf diese Weise kann ich mich auch ganz entspannt im Bikini zeigen.
Vielleicht kommt irgendwann der Punkt in meinem Leben, an dem ich den Beutel auch ganz offen beim Schwimmen trage und ich bewundere die Menschen sehr, die das bereits tun und so ein Zeichen setzen. Für mich persönlich ist die Lösung mit Bandage ein Kompromiss, mit dem ich mich sehr wohl fühle und auch gerne öffentlich zeige.
Was ich endlich wieder alles tun kann
Hier kommt die gute Nachricht: Ich kann wirklich wieder alles tun, was ich immer getan habe, ohne Einschränkungen. Da ich nicht weit von einem wunderschönen See entfernt wohne, bin ich fast jeden Tag schwimmen.
Den Filter klebe ich vorher ab und muss den Beutel danach auch nicht wechseln. An meinem Lieblingssee gibt es auch einen Beachvolleyball Platz, auf dem ich oft stundenlang mit meinen Freunden spiele und danach am Lagerfeuer den Sternenhimmel genieße.
Außerdem gehe ich joggen, bergsteigen und hin und wieder abends ausgelassen feiern. Wann immer ich Lust habe, gehe ich spontan alte Freunde besuchen – ohne negative Überraschungen.
Letztes Jahr war ich die gleiche Freundin im Ausland besuchen. Mein erster Flug ganz alleine und aufgrund starker Turbulenzen wurden die Toiletten für die komplette Zeit geschlossen. Ein ungutes Gefühl im Magen blieb, aber letztendlich völlig unbegründet. Reisen mit Stoma ist im Gegensatz zu früher ein Kinderspiel.
Generell bereise ich so oft es mein kleiner Geldbeutel zulässt die Welt und halte die wunderschönen Erinnerung mit meiner Kamera fest. Nach mittlerweile zwei Jahren Beschwerdefreiheit und einem knappen Jahr ohne Medikamente fühle ich mich auch fit genug, um irgendwann endlich meinen lang ersehnten Rucksack Urlaub durch Asien anzutreten.
Mein Ziel ist es bis zum Ende meines Lebens die schönsten Plätze der Welt gesehen zu haben. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber ich komme meinem Ziel immer näher, denn ich habe endlich wieder die Kraft alles zu tun, was ich immer wollte. Um glücklich zu sein, brauche ich daher nicht viel, denn ich kann das Leben endlich wieder in vollen Zügen genießen.